Das CARE-Programm
Aus bindungstheoretischer Sicht spiegeln sich die Beziehungserfahrungen von Kindern mit ihren primären Bezugsfiguren in den verinnerlichten Beziehungskonzepten der betroffenen Kinder wider. Kinder, die eine gestörte Beziehung zu ihren Eltern haben, weil sie von den Eltern z.B. zurückgewiesen, vernachlässigt, überbehütet oder gar misshandelt oder getrennt werden, entwickeln in der Regel sog. unsichere Bindungsmuster. Diese unsicheren Bindungsmuster stehen in einem ursächlichen Zusammenhang zu einer großen Bandbreite von psychischen Störungen des Kindes- und Jugendalters.
Ein zentrales Problem ist nun, dass diese unsicheren Bindungsmuster auch auf neue, wichtige Bezugspersonen außerhalb des familiären Kontextes, wie z.B. Lehrer oder Therapeuten, übertragen werden. Sobald die Übertragung einsetzt (und das ist bei dem überwiegenden Teil der Kinder der Fall), wenden die Kinder in diesen neuen Beziehungen die gleichen Beziehungsstrategien an wie in den bisherigen Primärbeziehungen.
Wenn eine Übertragung der in der Familie erworbenen Bindungsqualität auf außerschulische Betreuungspersonen stattfindet, stellt sich als nächstes die Frage nach den Reaktionen dieser Personen auf das Beziehungsverhalten der Kinder. Eine inzwischen breite, empirische Datenbasis zeigt, dass diese neuen Bezugspersonen häufig komplementär auf das Beziehungsverhalten der Kinder reagieren, und somit deren unsichere Bindungsmuster zementieren. Die weitere psychosoziale, emotionale und kognitive Entwicklung betroffener Kinder ist dadurch stark gefährdet.
Um die Zementierung missglückter Beziehungsmuster zu verhindern und stattdessen entwicklungs- und lernfördernde Beziehung aufzubauen, wurde das CARE-Programm entwickelt. Ziel dieser bindungsgeleiteten Interventionen ist es, die pädagogischen und therapeutischen Beziehungen zu Kindern so zu gestalten, dass sie den bisherigen Beziehungserfahrungen widersprechen und die Entwicklung gesunder Beziehungskonzepte fördern. Das CARE-Programm ist inzwischen mehrfach evaluiert worden. Die Ergebnisse dieser Evaluationen zeigen, dass der Aufbau einer entwicklungsfördernden Beziehung fast immer möglich ist, und dass diese Beziehung die weitere psychosoziale, emotionale und kognitive Entwicklung des Kindes maßgeblich positiv beeinflusst.